Reisen+Ausflüge

Go north – in zwei Wochen durch’s Kaliningrader Gebiet und Baltikum

Im letzten Spätsommer sind wir in den Süden gefahren, in diesem Jahr geht es in die entgegengesetzte Richtung. Linda wird ein ERASMUS-Austausch-Semester in Kaunas in Litauen beginnen und wir beschließen, sie mit dem Auto hinzubringen und dabei das Baltikum zu besuchen. Dank der neuen Visa-Regelung für den Oblast Kaliningrad können wir sogar dieses interessante Gebiet in unsere Route einbeziehen und über die Kurische Nehrung nach Litauen fahren. Es ist Ende August und bestes Wetter, da bietet es sich an, auch den Hauptstädten der nördlichen Nachbarländer Lettland und Estland einen Besuch abzustatten. Für die Vorbereitung benötigen wir wenig mehr als die Routenplanung (wir nutzen wie immer die ADAC-TourSets), das e-Visum für Kaliningrad beantragen wir sicherheitshalber einige Tage vor dem Start, die Übernachtungen buchen wir kurzfristig sehr preiswert über booking.com (unterwegs in der App). Laura kommt mit dem Flugzeug nach und wird uns auf halber Strecke treffen. Wir laden euch ein, uns auf unserer Tour zu begleiten und mit uns wunderschöne Landschaften und beeindruckende Städte zu durchstreifen.

Wir starten nach dem Berufsverkehr und die Autobahnen sind relativ frei. Lindas Gepäck, das aussieht, als könnte man damit auch ruhig sechs Jahre und nicht nur sechs Monate überleben, hat wider Erwarten in unser kleines Auto gepasst. Zunächst geht es Richtung Berlin, sachsenmäßig schwinden Internet, GPS-Signal und Radioempfang, wenigstens geht die analoge Straße weiter. Auf den Feldern wird es merklich Herbst, in Nordpolen gehen die Felder in Wald über. Nach 570 km erreichen wir bei Parnowo unser erstes Ziel, ein Herrenhaus an einem kleinen See am Rande eines winzigen Dorfes. Hier können wir durch die Anlagen flanieren und werden recht fürstlich untergebracht und bewirtet.

Die 300 Kilometer bis Gdansk führen im dichten Verkehr weitestgehend durch Orte, dann kommen wir zur russischen Grenze. Straffe Kontrolle und Formulare – EU sei Dank, ist man es gar nicht mehr gewöhnt – kosten reichlich zwei Stunden. Bis Kaliningrad (100 km ab Grenze) fahren wir durch eine moorähnliche einsame Landschaft, ringsum gelbe Blumen, ab und an kleine Bauernhäuser. Je näher wir der Stadt kommen, umso dichter und verrückter wird der Verkehr. Wir wollen am Meer in Baltijsk übernachten und benötigen dazu eine Genehmigung. An der angegebenen Adresse landen wir vor einer Garnison und niemand weiß Bescheid. Die Zeit rennt und wir entschließen uns, trotzdem zum Hotel zu fahren. Die Fahrt quer durch Kaliningrad kostet Nerven, nördlich der Stadt entschädigen uns wunderschöne Alleen aus knorrigen Bäumen und dichte Wälder. Baltijsk ist wunderschön gelegen am Meer, mit bunten Leuchttürmen, Schiffen malerisch im Sonnenuntergang … Es gibt zwar keine Hinweise oder Kontrollen, aber ohne den obligatorischen Propusk dürfen wir nicht im Hotel bleiben. Wenigstens WLAN bekommen wir im Hotel (zum zweiten Mal heute wird uns wieder bewusst, wieviel einfacher es sich doch durch EU-Länder reist) und buchen uns ein einfaches Zimmer in einem Guest House am Stadtrand von Kaliningrad. Im modernen SPAR um die Ecke kaufen wir trotz mangelhaften Verständigung super nett bedient und preiswert für den schon späten Abend ein.

Es hat die ganze Nacht geregnet, wir schlafen aus und trödeln, als es aufgehört hat, zum SPAR und sitzen beim Königs-Bäcker auf Kaffee und Gebäck ein. Es ist das erste Mal, dass Linda um eine Sprache verlegen ist, aber die Gebäcknamen stehen in deutsch dran – auch so lange nach Kants Zeiten . Wir nehmen den Bus in die Stadt und die Schaffnerin ist uns freundlich behilflich. Das Zentrum ist großstädtisch, alte Villen, moderne Architektur und schöne Parks wechseln sich ab. In der Touri-Info hat man offenbar noch nicht viele mit e-Visum gesehen. Wir bekommen einen Plan in englisch und Hilfe bei den must-sees. Ich bin beeindruckt, wie schön bunt, sauber und historisch gut erhalten das Zentrum ist. Von der Brücke bietet sich toller Blick Richtung Hafen und Kant-Insel. Das Grab des Philosophen befindet sich an der großen Kathedrale im Park auf der Insel. Uns gefallen die schön bemalten Häuser im Shipyard, das man über die Brücke zur Synagoge erreicht. In der zweiten Reihe ist an den Häusern noch viel Renovierungsbedarf, hier wird sicher der zunehmende Tourismus einiges bewirken. Inzwischen scheint die Sonne, wir entscheiden uns trotzdem gegen eine Bootstour auf den Kanälen und wollen das kleine Konzert in der Kathedrale besuchen. Dafür hatten wir jedoch die lange Besucherschlange unterschätzt. Also gehen wir Richtung Weltmeer-Museum und bestaunen die Außenexponate, für einen Besuch wäre ein halber Tag einzuplanen. Durch den Friedenspark kommen wir in die alte deutsche Siedlung. Wir finden eine Stolowaja, wo wir zum kleinen Preis leckere russische Gerichte probieren. Nach 15 Kilometern sind wir froh, im Bus zu sitzen und dem Fahrer die Fahrt durch den immer-währenden Berufsverkehr überlassen zu können. Kaliningrad ist eine sehens- und erlebenswerte Stadt, auch wenn wir in einem Tag vieles gar nicht gesehen haben, wie die schönen Stadttore und das Bernstein-Museum zum Beispiel.

Die Sonne weckt uns – auf an’s Meer. Wir tanken für 60 Cent pro Liter und starten nach Baltijsk, um uns die Stadt noch einmal mit Muße anzuschauen. Zunächst gehen wir an der Landspitze und am Hafen spazieren, dann fahren wir über Jantarny vorbei an der Bernstein-Ausstellung und dem -Kombinat (hier wird Bernstein im Tagebau gefördert – 80% der Bernsteinvorkommen der Welt liegen im Kaliningrader Gebiet) zum mondänen Badeort Swetlogorsk. Hier strahlen die schönen alte Hotels und Villen das Flair vergangener Seebad-Zeiten aus. Leider sind Parkplätze rar, der Ort voll und der Strand recht schmal. Über eine Autobahn mit verzierten Lampen erreichen wir den Eingang zum Nationalpark/UNESCO Welterbe Kurische Nehrung. Der Eintritt mit Auto kostet 4 Euro und die Zeit reicht noch für eine Stippvisite entlang der Straße durch den Wald – leider ohne den erhofften Blick auf die großen Dünen – dafür mit den vielen Parkplätzen für die Sehenswürdigkeiten rechts und links bis zum Beginn des Grenzgebietes. Wir können morgen hier ausreisen und freuen uns auf die Besichtigungen. Zum Abschluss grüßt uns der Fuchs (vom kleinen Prinzen (?)) und wir finden einen Traumstrand. Wegen der Tiere fahren wir vor Beginn der Dämmerung aus dem Wald und im Feierabendstau zurück. Ein Blick auf Google Earth erklärt die Lage der Dünen und wir planen beim Abendbrot unsere morgige Tour.

Wir sind nun schon 1300 Kilometer unterwegs und heute erreichen wir unser drittes Land. Wie gewohnt starten wir nach einem Besuch bei unserem Bäcker auf dem schon bekannten Weg Richtung Nationalpark. Wieder durch die schöne verzierte Autobahn mit den Schiffslampen und die hübsche Stadt Selenogradsk mit den vielen Neubauten. Am Gate lassen wir uns diesmal eine Beschreibung des Nationalparks geben und siehe da, nun erschließen sich die vielen Parkplätze und deren Bezeichnungen. Unser erster Stopp ist bei den Riesenbäumen, die Wanderung ist lang angesetzt, aber der Weg wird uns durch Mückenscharen versperrt. Nicht so schlimm, denn am Leuchtturm gibt es erst einmal Gebäck und Kaffee. Nächster Stopp sind die tanzenden Bäume – der Rundweg ist nett gemacht und die verknoteten Stämme sind wirklich sehenswert. Ich ahne bereits, das die große Düne letztendlich an Efas Height sein wird, wo wir gestern zum Strand, also genau in die entgegengesetzte Richtung, gelaufen sind. Vorher jedoch machen wir noch einen Stopp an der ältesten Vogelwarte. Hier müssten wir auf eine Führung warten, alleine gehen ist nicht gestattet. Sicherlich sehr interessant, doch wir haben noch viel vor. Der nächster Halt ist die vom Biologen Müller begrünte Düne mit ihrem Aussichtspunkt. Von dort oben sehen wir erstmals die große Düne, sie beginnt hinter dem nächsten Ort. An Efas Height suchen wir den Eingang hinter den Verkaufsbuden und gehen auf dem Rundweg. Überall gibt es Aussichtstürme, Ferngläser und Erklärungen – leider nur in Russisch. Man kann bis Litauen sehen und zurück Richtung Kaliningrad. Die Düne ist riesig und wir sind sehr beeindruckt, wie sie dort in der Sonne glänzt. 7 Kilometer trennen uns von von der Grenze. Die Kontrollen gehen zügig, trotzdem dauert das Procedere wieder eineinhalb Stunden. Auf der litauischen Seite werden wir gleich mit fünf Euro zur Kasse gebeten, die Straßennutzungsgebühr erweist sich letztendlich gleich als Bezahlung für die Fähre nach Klaipeda. Auf Litauischer Seite ist der Nationalpark nicht als solcher ausgebaut, es gibt lediglich einige Parkplätze mit Zugang zum Strand und einen Weg auf die Düne, dafür sind zwei Euro zu bezahlen. Wir halten stattdessen im nächsten Fischerdorf am Haff und freuen uns über die kleinen bunten nordisch anmutenden Häuschen. Dann stehen wir an der Autofähre an und sind kurze Zeit später in Klaipeda, wo wir mitten im Berufsverkehr über mehrspurige Kreisverkehre zur Autobahn finden. 200 Kilometer durch dünn besiedeltes Landwirtschaftsgebiet trennen uns von Kaunas. Auf halber Strecke gibt es leckere Hotdogs an der Tankstelle, dann fahren wir im Sonnenuntergang am Rand von Kaunas entlang und sind froh, in unserem kleinen Hotel angekommen zu sein. 12500 Schritte, 19 Stockwerke und 400 Autokilometer liegen heute hinter uns. Unser Resümee: Das Kaliningrader Gebiet war vielfältig und überraschend und unbedingt die Reise wert!

Wir verstauen Lindas große Taschen bei unserer Wirtin und begeben uns gen Norden, um am nächsten Tag Laura in Tallinn zu treffen. Auch wenn die Preise in Litauen höher als in Russland sind, liegen sie deutlich unter unseren. Benzin ist knapp doppelt so teuer wie in Kaliningrad, dafür haben jede zweite Tankstelle und sogar einige Parkplätze Elektroladestationen. Und natürlich zeigt mein iPhone, seit wir Deutschland verlassen haben, durchgängig LTE. In allen Großstädten stehen Elektroroller und die öffentlichen Verkehrsmittel (viele davon Elektro-O-Busse) sind echt preiswert. Wir verlassen Kaunas zunächst in Richtung des Berges der Kreuze nördlich von Siauliai, der größten symbolischen Erinnerungsstätte für die litauischen Unabhängigkeitskämpfe. Wir fahren durch ländliche Gegenden und entdecken unterwegs einige hübsche Dorfkirchen. Gegen Mittag erreichen wir den leider ziemlich touristischen Kreuzeberg, der mit seinen über 10.000 Kreuzen (teilweise traditionell litauisch mit heidnischem Beiwerk) trotzdem sehr beeindruckt. Pause an einem Waldgasthof, dann erreichen wir die Grenze Lettlands. Hier steigen die Benzinpreise, dafür sind die Straßen schlechter. Wir umfahren Riga, danach kommen wir durch Nadelwälder und Feld- und Weideland und fast unbemerkt erreichen wir nach der Kaffeepause an der Tankstelle (durchgängig gibt es super Kaffee und frisches Gebäck zum Normalpreis) die estnische Grenze. Die Vegetation verändert sich in Birkenwald und Buschwerk und westlich der Straße schimmert das Meer durch die Bäume. Auf dem Standstreifen der zweispurigen Schnellstraße parken Busse für die Badenden, er wird ebenso genutzt durch Radfahrer und Jogger oder aber als dritte und vierte Spur zum überholen. Während der Mittagspause haben wir für unser heutiges Tagesziel einen Bungalow auf einem Bauernhof am Meer gebucht, den wir noch vor Sonnenuntergang erreichen. In der liebevoll mit alten Farmwerkzeugen dekorierten Küche stehen Äpfel und Tee bereit. Wir schauen noch zum Meer und genießen dann einen ruhigen Tagesausklang in unserer Holzhütte. Bis Tallinn haben wir morgen nur noch etwa 150 Kilometer vor uns.

Nach reichlich 2000 Kilometern kommen wir in Tallinn an. Wir haben ein Zimmer mitten in der Altstadt gebucht und Linda lädt die Barking App für’s kostengünstige Parken in Estland aufs Handy – damit zahlen wir nur wenige Gehminuten entfernt pro Tag weniger als 4 Euro. Inzwischen ist Laura gelandet und kommt mit dem Bus zum Stadttor. Wir feiern unser Treffen mit Elchsuppe im urigen und preiswerten Mittelalter-Restaurant “Der dritte Drache” am Markt. In der Altstadt startet eine freie Stadtführung, in deren Verlauf wir viel Interessantes über Geschichte und Bauwerke in der UNESCO-Welterbe-Stadt erfahren. Tallinn hält hinter jeder Ecke Überraschungen bereit und macht die Geschichte besonders dadurch lebendig, dass in der gesamten Altstadt nur kleine Handwerks-/ Souvenirläden und originelle Gaststätten das Bild bestimmen und Markthändler und Kellner in historischen Kostümen bedienen. Wir beenden unseren ersten Tallinn-Tag in der urigen Eierkuchen-Kneipe “Kompressor”.

Wir gönnen uns einen freien Tag und beginnen ihn mit einem Bummel zum Hafen, wo gerade die AIDA auf ihrer Ostsee-Runde anlegt. Frühstück gibt es im Obergeschoss der ältesten Konditorei Maiasmokk. Auf unserer Runde entlang der Stadtmauer kommen wir an den Gildehäusern “Drei Schwestern” und dem “Schwarzhäupterhaus” vorbei und besuchen die Markthalle am Bahnhof.

Wir nehmen Abschied von Tallinn und fahren zur nächsten UNESCO-Welterbe-stadt Riga. Es ist leicht diesig und unterwegs geht das Meer am Horizont unmittelbar in den Himmel über. Wir haben Quartier etwas außerhalb gebucht und fahren mit dem Bus ins Zentrum.  Nach einer Runde durch die Altstadtstraßen, die uns begeistert, treffen wir uns an der Oper zur freien Tour ins Jugendstil-Zentrum . Die nächsten beiden Stunden übertreffen unsere kühnsten Erwartungen. Beginnend an Kunstakademie und -Museum stehen wir offenen Mundes, fachkundig begleitet, vor den Schöpfungen Michail Eisensteins und seiner Zeitgenossen. Leider bleibt uns das Innenleben hinter den Fassaden verborgen, da die Häuser im Privatbesitz sind, aber sie verfügten vor einhundert Jahren schon über moderne Bäder und Aufzüge. Wir kommen uns vor wie in einer Filmkulisse oder einer anderen Zeit und weiter schwärmend gehen wir durch den Stadtpark ins alte Zentrum zurück und lassen den Abend mit internationalen Tischnachbarn im Folkklub-Keller ausklingen.

Am nächsten Tag naht der Abschied – wir bringen Linda mit ihrem Gepäck ins Uni-Wohnheim und die Zeit reicht noch für einen kleinen Rundgang durch die Altstadt von Kaunas mit ihrer Burg, dem kleinen Markt und der hübschen Fußgängerzone mit ihren kleinen Läden und Kneipen. Linda wird in einem eigenen Blog ausführlich über ihre Wahlheimat für sechs Monate berichten. Zum Abschied gibt es in einem kleinen Restaurant am Markt litauische Spezialitäten – Kartoffelpuffer mit Rahm, gefüllte Klöße und karamellisiertes Schwarzbrot.

Die beiden nächsten Tage on the road werden nur von einer Übernachtung in der polnischen Waldidylle bei Łódź unterbrochen – und unterwegs haben wir Zeit, das Erlebte Revue passieren zu lassen und neue Reisepläne zu schmieden.

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