Welch ein Tag – gerade komme ich, die Füße schwer wie Blei und den Kopf voller Bilder und neuem Wissen, aus Essen zurück.
Ein Industriedenkmal wollte ich besuchen, und was habe ich gefunden – ein riesiges Areal ehemaliger Werkhallen und Anlagen, authentisch, doch geschäftig und belebt durch Kunstausstellungen, Kultur, ein Museum und dazwischen viel Natur – Ausblicke und Einblicke auf und in den Ruhrpott damals und heute.
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Ich habe auf meiner Runde fast 10 Kilometer und 40 Stockwerke überwunden, aber noch lange nicht alles gesehen, was der Zollverein zu bieten hat. Doch der Reihe nach.
Der Industriekomplex Zeche Zollverein in Essen ist ein Zeugnis der Entwicklung der Schwerindustrie in Europa. Er beinhaltet einen kompletten Kohlebergbaustandort mit Schachtanlagen, Kokerei, Transport- und Sozialeinrichtungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und dokumentiert die Entwicklung des Kohlebergbaues ab 1834 über einen Zeitraum von 150 Jahren. In den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde hier bemerkenswerte Industrie-Architektur der Epoche der neuen Sachlichkeit geschaffen und Zollverein dadurch nicht nur die größte, sondern auch die schönste Zeche der Welt. Nach der Zeit der intensiven Ausbeutung der Ressourcen und ihres Niederganges 1986 wurde durch sensible Umnutzung des Areals seine Authentizität erhalten und trotzdem neues Leben in den Gebäuden angesiedelt. Der Industriekomplex steht deshalb seit 2001 auf der Liste der UNESCO-Welterbe. Ausführliche Informationen gibt es hier sowie das offizielle Video . Interessant ist auch der Beitrag zum digitalen Welterbetag 2020.
Rundgang auf dem Gelände
Wir starten unseren Besuch mit einem Rundgang über das riesige Areal und schnell ist klar, dass wir heute nur einen Teil werden anschauen können. Coronabedingt ist auch noch nicht alles oder nur verkürzt geöffnet und ich vermerke mir gleich in meinem Kopfkalender einen unbedingten nächsten Besuch.
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Der Komplex wird dominiert durch das Fördergerüst des Schacht 12, liebevoll auch bezeichnet als Eiffelturm des Ruhrgebiets. Auch heute noch drehen sich die Räder und fahren Kumpel ein, wir erfahren, es ist wegen der Grubenwasserhaltung für das Ruhrgebiet.
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Das Fördergerüst ist eingeschlossen von den wunderbaren, sachlich-funktionalen Industriebauten aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, designt von Fritz Schupp und Martin Kremmer. Wenn man auf dem Ehrenhof steht, kann man sehen, warum diese Zeche die schönste der Welt ist – dieser Anblick blieb Arbeitern zu früheren Zeiten verwehrt.
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Unser Weg führt uns über die Kohlenwäsche bis zur Kokerei, vorbei am ältesten Schacht und dem Kunstschacht, mal auf bewachsenen Schienen durch die neuen Natur-Oasen oder über ehemalige Transportbrücken mit schönen Ausblicken.
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Und fast jedes der Gebäude wird, so original wie möglich erhalten, auch genutzt: Künstler, Werkstätten, Cafés und Restaurants, Ausstellungsräume, ein Hotel, die Folkwang-Universität der Künste und viele andere haben hier ein Zuhause gefunden und geben dem Areal sein neues Leben.
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Ziemlich neu ist der Zollverein-Kubus des japanischen Architekturbüros SANAA – schaut euch einmal die ungewöhnliche Fensterfront an, von Innen erinnert die Anordnung an aufgehängte Bilder in einer Galerie – und in jedem (Fenster-)Rahmen bietet sich ein etwas anderer Blick auf rote Rohre, Klinkerbauten und vor allem auch viel Grün. Wir erfahren, dass gerade dieses ständig Nach-Vorne-Entwickeln das Unterpfand des damaligen Zechenerfolges war und auch heute für das Welterbe ist.
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Ausblick
Auf dem Dach der Kohlenwäsche in 45 Metern Höhe zu stehen ist eines der Highlights unseres Besuches. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit kannte ich das Ruhrgebiet lediglich aus dem Bochum-Song von Herbert Grönemeyer. Dass es heute ganz anders es ist, habe ich mir schon von meinem neuen Zuhause aus erradelt. Wie wir noch mehrmals heute zu hören bekommen, sind die Anwohner stolz auf ihr schönes, grünes und gesundes Ruhrgebiet heute – und von hier oben sieht man es ganz eindrücklich.
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Führung
Ich möchte hier keine Zahlen vorwegnehmen und euch die Überraschungseffekte für eure eigene Gästeführung überlassen, aber vielleicht diese drei Randgrößen: die Tagesfördermenge im letzten Jahr des Zechenbetriebes entsprach der Jahresmenge im Gründungsjahr; eine Lore fasst eine Tonne, der erste mit der Hand gegrabene Schacht war reichlich 100 Meter tief, der letzte 1000 und das Endlostau vom Förderturm in den Schacht ist 2 Kilometer lang.
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Wir erfahren viel über die Arbeit der Kumpel, den Lärm und Staub in den Produktionshallen und das Leben vor den Toren der Kokerei.
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Ruhr-Museum
Auf drei Etagen der ehemaligen Kohlenwäsche befindet sich das Ruhr-Museum, und das alleine füllt mehrere Stunden – vielleicht eine Idee für einen verregneteren Tag, als wir heute hatten.
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Schon der wortwörtliche Abstieg lohnt sich – werft unbedingt einige Blicke auf die orange leuchtende Treppe des Rotterdamer Designers Rem Koolhaas. Im Museum werden alle Wissensgebiete ausführlich bedient, von der Ur-und Frühgeschichte, Eiszeitfunden, Pflanzen und Tieren über Kulturgeschichte (besonders eindrucksvoll wirken die goldenen Kirchenschätze vor den rußgeschwärzten Wänden der alten Produktionsräume) bis zur Neuzeit, Wirtschafts- und politischen Entwicklung. Fotos, Filme, Sportpokale geben Einblicke ins Privatleben der Ruhrgebietler.
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Für mich als Zugereiste gibt es viel, viel Neues und Unbekanntes, für alle, die hier wohnen, sicher Erinnerungen und auch Zugewinn. Unter dem Strich – das Ruhrmuseum ist unbedingt sehenswert!
Kunst
Der Zollverein ist ein Kunst-Hotspot und trotz Corona-Einschränkungen gibt es einiges zu sehen. Im ehemaligen Kesselhaus befindet sich das Red-Dot-Design-Museum mit wechselnden Ausstellungen. Gerade ist dort eine interessante Präsentation des Finnischen Design Teams von modernen Geräten für Haus und Garten zu sehen. Nicht nur die Exponate an sich, sondern auch ihre Interaktion mit der historischen Patina der Fabrikumgebung erzeugt Spannungen und setzt ganz besondere Akzente.
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In der ehemaligen Kokerei gibt es wechselnde Ausstellungen, zur Zeit Gegenwartskunst. Gerade sind die beeindruckenden Fotos und Zitate der letzten Holocoust-Überlebenden in den Porträts von Martin Schoeller dort zu sehen (SURVIVORS – Faces of Life after the Holocaust).
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Nice to see
Ihr könnt den Zollverein-Komplex aber auch einfach so besuchen, als Ziel einer Radtour zum Beispiel, im Café Kokerei paradoxerweise sehr idyllisch unter Stahlträgern der Koksdruckmaschine mit Blick auf das Abkühlbecken und die Koksöfen sitzen oder auch im Biergarten des Casino unter Glyzinien, im Restaurant gediegen speisen, in den Werkstätten den Künstlern über die Schulter schauen und in ihren Shops Unikate erwerben. Eine kleine Liste ist unten angefügt (Achtung – nicht vollständig und zufällige Auswahl!).
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Darüber hinaus lockt ein Naturpfad durch die grünen Anlagen und wir erfahren, dass sich, bedingt durch die für den Zechenbetrieb importierten Gehölze, hier eine ganze Reihe Neophyten angesiedelt haben (Infos und Wanderkarte). Wusstet ihr, dass in der Zeche eigener Honig ( “Zechengold”) produziert wird?
Und ganz nebenbei – viele interessante Details für Fans alter Technik……
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- Kunst, Design, Werkstätten und Shops :
- Hotel und Restaurants:
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Resümee
Wir bedanken uns beim Team der Stiftung Zollverein für den überaus freundlichen Empfang, die vielen Informationen, Geschichte und Geschichten, die Hinweise auf die versteckten Schönheiten und interessanten Punkte.
Besucht den Industriekomplex Zollverein, das ist unsere absolute Empfehlung, auch oder besonders jetzt, wo ihr vieles für euch alleine oder im kleinen Kreis entdecken und erleben könnt. Setzt euch am besten einen Schwerpunkt des Tages – Museum, Führung, Kunst, shoppen oder nur eine Radtour durch den Park und einen Kaffee oder auch ein Abendessen. Und wenn die Corona-Beschränkungen vorbei sein werden, dann gibt es hier auch wieder Kunst und Kultur live, Schwimmbad, Eisbahn und Tanz.
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Tipp:
Mein Welterbeprojekt habe ich hier vorgestellt. Alles über den Ausbau meines Minicampers ist hier nachzulesen, die Komplettierungen mit Solar und Bordbatterie habe ich hier dokumentiert. Während ich wochenlang unterwegs war, habe ich einige Veränderungen geplant – die aktuelle Einrichtung ist hier zu sehen und weitere nützliche Ausstattungen stehen hier.
Die Übernachtungsplatzsuche mit der App park4night habe ich getestet, besitze die Offline-Version und kann sie empfehlen. Jeden besuchten Platz habe ich auch bewertet (5Reisende).
Annette Wackermann
Hallo,
können Sie uns als Werkstatt und Galerie mit in Ihre Liste aufnehmen? Wir machen und verkaufen Schmuck- und Produktdesign und sind wie die Arka und die Greubenhelden auch in Halle 12 ansässig. Und das schon seit 22 Jahren!
http://www.schmuckprodukt.de
Das wäre fein, wenn Sie uns ergänzen!
Annette
Linda
Das machen wir aber gerne! Vielleicht klappt es beim nächsten Mal auch mit einem Besuch 🙂
Ganz liebe Grüße,
Linda