Welterbe-Projekt

Welterbe (auf)gespürt und (er)fahren – I und CH – Rhätische Bahn in der Landschaft Albula / Bernina

Mein Aufenthalt in Italien geht zu Ende und ich bereite mich auf die Heimfahrt vor. Pünktlich kurz vor Schluss bekommt mein 12V-Verteiler einen Wackelkontakt und der Faden für die Öffnung der hinteren Tür ist gerissen. Über die Reparatur bzw. Verbesserungen werde ich zum Start der Sommer-Runde berichten.

Ich fahre frühmorgens von Capo di Ponte auf kleinsten Straßen durch die Berge und frage mich, ob das wohl die offizielle Zufahrt zur Grenzstadt Tirano sein soll.

Entlang der Straße finde ich noch einige Hinweise auf die Felszeichnungen, aber weder ausgewiesene Plätze, noch Routen, auch kein Museum. Schade, das Wintersportzentrum ist da besser ausgeschildert. Auf einem großen Banner über der Straße steht – Tor zu den Alpen.

Auf den letzten 5 km gibt Italien noch einmal alles, ich nehme jede Serpentine und Steigung mit. Tirano liegt dann unten im Tal, heute ist Markttag und natürlich alles voll. Ich bekomme gerade noch den letzten Parkplatz in der Nähe des Zentrums. Mein erster Weg führt zum Bahnhof, dem Start des berühmten Bernina-Express.


Die Rhätische Bahn in der Landschaft Albula/Bernina steht seit 2008 auf der UNESCO-Welterbeliste. Das Welterbe vereint zwei historische Bahnstrecken, die die Schweizer Alpen auf zwei Pässen überqueren. Die 1904 eröffnete Albulalinie ist 67 km lang und verfügt über eine beeindruckende Reihe von Bauwerken, darunter 42 Tunnel und überdachte Galerien sowie 144 Viadukte und Brücken. Die 61 km lange Berninapasslinie, die 1910 fertiggestellt wurde, hat 13 Tunnel und Galerien sowie 52 Viadukte und Brücken. Die Bahnlinien wurden gebaut, um die Siedlungsisolation in den Zentralalpen zu vermindern. Die beiden Strecken zählen zu den technischen Pionierleistungen der Hochgebirgs-Bergbahnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In ihrer Planung und Ausführung fügt sich die Bahninfrastruktur harmonisch und homogen in die durchquerte Alpenlandschaft ein. Die beiden Bahnlinien haben maßgeblich zur langfristigen Entwicklung der Bergregionen beigetragen und das Leben dort erheblich und nachhaltig verändert. Die Strecken waren schon zum Zeitpunkt ihres Baues eine technische Meisterleistung und werden durch die Rhätische Bahngesellschaft dergestalt gewartet, dass erforderliche technische Änderungen und Neuerungen den ursprünglichen Charakter der beiden Bergbahnen weitestgehend erhalten.

Hier gibt es das Einführungsvideo.

Berninalinie

Tirano hat zwei Bahnhöfe, an dem des Bernina prangt das Welterbeschild. Es fährt stündlich ein Zug nach Sankt Moritz, das hatte ich so nicht erwartet. Eine Fahrt hin und zurück kostet 64 €, ich packe also schnell meinen Rucksack für den Tag und nehme den nächsten Zug.

Die Bahn tuckert gemächlich wie eine Straßenbahn neben den Autos durch Tirano und es geht schon mächtig den Berg hoch. Gerade erzählt uns eine Durchsage in italienisch, deutsch und englisch, dass die Rhätische Bahn eine der drei Bahnen weltweit mit Weltkulturerbe-Status ist. Man ist mächtig stolz auf den Titel – zu Recht, wie ich im Verlaufe meiner Fahrt feststellen werde. Schon kommt das erste spektakuläre 360°-Viadukt (Video), dann geht es durch eine liebliche Landschaft mit blühenden Wiesen, Weinbergen, kleinen Dörfern und vorbei an Bienenstöcken und Bergkirchlein.

Die Strecke bis Sankt Moritz dauert etwa zweieinhalb Stunden. Noch habe ich das Abteil für mich und kann wahlweise nach rechts und links rennen, um die Kurven zu fotografieren. Im Hintergrund tauchen jetzt die Berge auf und spiegeln sich malerisch in einem See.

Immer wieder sehe ich die Straße, auf der ich morgen mit dem Auto über den Pass fahren werde. Ich habe mich extra hinten in den Zug gesetzt, damit ich immer einen Teil des Zuges vor mir sehen kann.  Es sind wirklich steile Serpentinen und ich laufe hin und her, um heute die Fotos zu machen, die mir vom Auto aus immer nicht möglich sind. Dauernd muss ich schlucken wegen des Drucks, den ich durch die Steigung auf die Ohren bekomme.

In den Tälern zwischen den Bergen steht der Frühling in voller Blütenpracht, die Farben an den Bäumen und Sträuchern übertreffen sich gegenseitig und auch mich überkommt ein unbeschreiblich tolles Gefühl. Das Bähnlein quietscht und schnauft und verbindet die kleinen Bergorte miteinander.

Und dabei fährt sie genau durch die Serpentinen und Tunnel und über die Viadukte, wie ich es mir gewünscht hatte und ich drehe meine kleinen Videos und mache viel zu viele Fotos. Wir klettern immer höher. Vorbei an Bergseen, der letzte ist zugefroren, kommen wir dem Schnee entgegen. Der nette Kontrolleur wünscht mir einen tollen Tag – und ob ich den habe. Mein anfangs leeres Abteil füllt sich bei jedem Halt. Die Sonne scheint und wir nähern uns dem Pass. Es ist still hier oben und die Skigebiete sind verwaist.

Immer wieder Durchsagen, welche Höhe wir erreicht haben und was es rechts und links zu sehen gibt, dann passieren wir den Gletschergarten. Die Fahrt ist ein echtes Erlebnis und ich genieße jede Minute.

Schon sind wir über 2.000 m und haben einen Blick auf den Morteratsch-Gletscher und den Piz Bernina mit über 4.000 m Höhe. Der Haltepunkt Bernina auf 2.253 m Höhe ist der höchstgelegene Bahnhof der Rhätischen Bahn. Damit sind wir seit dem Start fast 1.800 m geklettert .

Nach dem Pass geht es ziemlich steil bergab Richtung Sankt Moritz und ich habe mir schon die Motive für die Rückfahrt vorgemerkt. Je weiter es abwärts geht, kommen wir wieder im Frühling an. Wie heißt es so schön in der Werbung der Rhätischen Bahn – von den Gletschern bis zu den Palmen. (Video)

Sankt Moritz liegt auf etwa 1.800 m und es ist ziemlich frisch. Ich gehe einmal am Ufer des Sees entlang und sehe, dass Rolltreppen nach Sankt-Moritz-Dorf hinauf führen, die probiere ich doch gleich aus. Drei lange Rolltreppen bringen mich nach oben und dann stehe ich in der Einkaufsmeile der Schönen und Reichen.

Eine tolle Entdeckung mache ich entlang der Rolltreppe – hier gibt es gerade eine Fotoausstellung von den ersten illustren Besuchern in Sankt Moritz aus den 1940er bis 1950er Jahren. Später im Zug lese ich im Stadtmagazin darüber.

Dann sitze ich kurz vor Abfahrt wieder auf meinem Platz. Wir haben zwei zusätzliche Waggons mit großen Baumstämmen angehangen. Jetzt kann ich wählerisch mit den Motiven sein, denn ich kenne die Strecke ja schon. Die Rückfahrt vergeht gefühlt schneller, obwohl sie eigentlich 20 Minuten länger dauern soll. Es ist ungeheuer angenehm, ich sitze auf der Sonnenseite, das Zugfenster runtergekurbelt und kann ungestört meine Aufnahmen machen. Hier in dieser Hochebene im Sommer zu wandern, muss unheimlich Spaß machen. Ich denke an die wundervolle Hochebene vor einem Jahr am Arctic Circle in Norwegen zurück. Meine Videos sind inzwischen minutenlang, da muss ich später kräftig aussortieren, aber sie Blicke sind einfach zu toll. Am Pass ist die Wasserscheide zwischen schwarzem Meer und Adria. Tief unten im Tal liegen die Schweizer Bergorte, im Gegensatz zu den Italienern haben sie nicht hoch auf die Berge gebaut und kleben daran, sondern nutzen die ebene Fläche dazwischen.

Ich habe die Parkplatzmöglichkeiten entlang der Route gecheckt, hier im Engadin ist übernachten größtenteils verboten oder recht kostenintensiv. Außerdem ist es hier oben schon kalt, auch in der Sonne. Deshalb überlege ich mir, heute in Tirano zu bleiben und morgen ganz früh die Straße zum Pass zu genießen. Die Strecke ist auch einfach zu schön, um sie abends und auf der Parkplatzsuche zu fahren.

Wir kommen natürlich superpünktlich wieder in Tirano an. Ich drehe eine kleine Runde durch den Ort und werfe einen Blick in die schöne Basilika.

Albulalinie

Ich starte am frühen Morgen vom Platz neben meinem Weinberg in die Schweiz.

Die Straße zum Berninapass führt malerisch durch die Berge, sie fährt sich einfach, verglichen mit den Serpentinen in Italien. Nach rechts und links habe ich tolle Ausblicke, die genieße ich heute in der morgendlichen Ruhe. Die Straße kreuzt immer mal die Bahn beziehungsweise führt auf dem Gleisbett entlang, das ist gewöhnungsbedürftig, wenn man weiß, dass  die Züge ja jede halbe Stunde hier lang kommen. Die Panoramafahrt im Zug zu genießen war auf jeden Fall viel toller als vom Auto aus gesehen. Nicht nur, weil ich die Hände frei hatte, sondern auch, weil ich höher gesessen und einen besseren Blick hatte als hier im Auto. Der Berninapass kommt dann sehr unspektakulär daher, 2330 m steht an der Straße, der dazugehörige Parkplatz ist noch tief verschneit.

Ich habe mir vorgenommen, bevor dich das Kloster in Müstair besuche, zum Landwasserviadukt der Albulabahn zu fahren.

Hinter Sankt Moritz geht es wieder steil den Berg hinauf, mein nächster Pass ist der Julierpass auf 2.284 m.

Bergab komme ich durch Bergorte im Frühlingsrausch. Es sind erst wenige Touristen unterwegs, alles wirkt noch etwas verschlafen so kurz vor Saisonbeginn. Das Wetter ist herrlich.

Schon von der Straße aus sehe ich das hohe Viadukt das Tal überspannen. Ich suche den Parkplatz und wandere zur Brücke, immer an einem Schneeschmelze-Flüsschen entlang. Dann höre ich den Zug und sehe ihn oben in den Baumwipfeln. Es ist das erste Mal seit Sankt Moritz, dass ich nahe an die Bahnstrecke herankomme.

Ich beeile mich, ein Foto vom Zug auf der Brücke zu bekommen. Je näher ich bin, umso gewaltiger wird das Bauwerk. Ein kleines Wasserkraftwerk am Bach versorgt den Ort. Auf der Beschreibung lese ich, dass ich am falschen Viadukt angekommen bin, es ist das Schmittnervobelviadukt und das Landwasserviadukt befindet sich nur einige Hundert Meter entfernt und ist noch höher.

Das Landwasserviadukt ist dann sichtbar ein ganzes Stück höher und klebt an einem Felsen. Hier steht dann auch die Infotafel und das Welterbeschild. Das Viadukt ist 66 m hoch und oben ganz der Steg für die Schienen ist ziemlich schmal. Es ist schon recht beeindruckend. unten zwischen den Säulen zu stehen, wenn oben ein Zug darüber rattert. Die Gemeinde hat hier einen tollen Picknickplatz eingerichtet, ein Barbecue, gehacktes Holz, Toiletten, es ist für alles gesorgt. Ich hätte auch mein Esssen mitbringen sollen. In der Info über die Restaurierung des Viadukts finde ich die Aussage bestätigt, dass hier alles getan wird, um den ursprünglichen Charakter der Bahnlinien zu erhalten.

Ich stehe eine Weile und schaue den Zügen zu, die regelmäßig das Viadukt überqueren und im Felstunnel verschwinden. Dann lasse ich es mir natürlich nicht nehmen, auch noch auf die Aussichtsplattform über dem Viadukt zu klettern, nicht wissend wie ich auf dem Geröll hier wieder heil runterkommen soll. Meine Uhr beglückwünscht mich zu den Stockwerken und jetzt weiß ich, wie hoch das Viadukt wirklich ist. Die Gemeinde Schmitten hat eine Ausruh- und Aussichtsbank aufgebaut und ich sitze in der heißen Sonne und horche, ob sich vielleicht ein Zug nähert. Und pünktlich, wie die Schweizer nun mal sind, tun sie mir den Gefallen.

Das war aber nun das letzte Video der Rhätischen Bahn, na ja, das vorletzte. (Video)

Kurz vor dem Auto entdecke ich eine Badestelle am Fluss – das wird mein Mittagessenplatz. Schnell hole ich mein Picknick und nehme dann auch noch ein kleines Kneipp-Bad. Das Wasser ist ziemlich kalt.

Die schöne Wanderung heißt übrigens Wasserweg und ist vom Parkplatz ausgeschildert.

Ich liebe es schon, dieses unterwegs zu sein und die vielen schönen Dinge draußen zu erleben.

Resümee

Eine Fahrt mit der Rhätischen Welterbe-Bahnlinie ist ein absolutes Highlight in den Alpen. Meine Panoramafahrt mit dem Bernina-Express war jedenfalls das Beste, was ich machen konnte. Die tollen Ausblicke entlang der gesamten Strecke in Ruhe genießen, das geht nur vom Zug aus und ich möchte diesen Tag auf meiner Tour nicht missen. Ebenso nicht missen möchte ich meine Wanderung zum Landwasserviadukt der Albula-Linie. Das Viadukt ist natürlich von unten gesehen besonders eindrucksvoll. Ganz egal, ob im Zug oder außerhalb, die beiden Bergbahnen sind mein absoluter Tipp für den Süden der Schweiz.

Hier geht es zu den Geschichte(n)-Orte in Europa Impressionen, Karten und Vorschläge für eure Tour zum Download

Tipp:

Mein Welterbeprojekt habe ich hier vorgestellt und die gesamte Tour in den Süden ist hier beschrieben. Alles über den Ausbau meines Minicampers ist hier nachzulesen, die Komplettierungen mit Solar und Bordbatterie habe ich hier dokumentiert. Während ich wochenlang unterwegs war, habe ich einige Veränderungen geplant – die aktuelle Einrichtung ist hier zu sehen und weitere nützliche Ausstattungen stehen hier.

Die Übernachtungsplatzsuche mit der App park4night habe ich getestet, besitze wegen der Schweiz die Offline-Version und kann sie empfehlen. Jeden besuchten Platz habe ich auch bewertet (5Reisende). Nützlich ist es auf jeden Fall, unterwegs auch eine App für öffentliche Toiletten zu haben (z.B. für weltweite Suche Toiletten Scout).

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