Welterbe-Projekt

Welterbe (auf)gespürt und (er)fahren – D – Fagus-Werk in Alfeld

Meine diesjährige Nord-Tour führt mich zunächst auf den Spuren der Moderne in das Fagus Werk in Alfeld. Ich bin wegen der Feriensaison am Sonntag gestartet und fahre über die früh am Morgen noch relativ leere A2 in Richtung Hannover. Dann biege südlich nach Hildesheim ab. Im niedersächsischen Alfeld an der Leine befindet sich die heute noch in Betrieb befindliche Schuh-Leisten-Fabrik, von Walter Gropius aus Stahl und Glas konzipiert und einer der Vorboten der Bauhaus-Schule. Das Bauhaus habe ich ja bereits besucht (Tour durch Sachsen-Anhalt), auch Wohn- und Industriearchitektur der Moderne in verschiedenen Ländern angeschaut (Benelux und go south). Ich bin gespannt, was ich in Alfeld Neues sehen werde.

Das Fagus-Werk in Alfeld ist ein Komplex aus zehn Gebäuden, dessen Bau um 1910 nach dem Entwurf von Walter Gropius begonnen wurde. Es steht als Meilenstein in der Entwicklung der modernen Architektur und des Industriedesigns, der die Architekturmoderne vorwegnimmt, seit 2011 auf der UNESCO-Welterbeliste. Die Fagus-Fabrik als sein erster Großauftrag brachte ihrem Designer Walter Gropius einen internationalen Ruf ein. Sie bedeutete einen entscheidenden Bruch mit den bestehenden architektonischen und dekorativen Werten dieser Zeit und einen Schritt in Richtung einer funktionalistischen Industrieästhetik.

Der Entwurf zeichnete sich durch die innovative Verwendung von Vorhangfassaden aus Glas aus, die sowohl Helligkeit und Leichtigkeit, als auch optimal Arbeitsbedingungen in den Bau brachten.

Das Konzept von Gropius, gemeinsam mit dem Fabrikbesitzer Benscheidt entwickelt, zeugte von der Entschlossenheit, die Funktionalität des Industriekomplexes im Interesse der Produktivität und der Humanisierung der Arbeitsumgebung zu optimieren.

Bis heute sind alle zehn Gebäude des Fagus-Werks vollständig in ihren ursprünglichen Grundrissen und der architektonischen Formen erhalten.

Ich biege zunächst auf den noch leeren Parkplatz ein und umrunde die Gebäude. Ihre leuchtenden gelben Wände mit den spiegelnden Glasfassaden bilden einen imposanten Kontrast zum grauen Himmel. Diese Firmengebäude sind über hundert Jahre alt und immer noch zeitlos schön.

Überall stehen Erläuterungstafeln und ich erfahre z.B. am Betriebs-Bahnhof, dass auch schon vor hundert Jahren auf Recycling gesetzt wurde und die Abfallspäne aus der Produktion in Bunkern gesammelt und mit Waggons abtransportiert wurden.

Mein nächster Weg führt mich ins Museum. Im Untergeschoss gibt es eine Sonderausstellung mit alten Reklameschildern und Gegenständen aus der Privatsammlung eines Drogisten. Einiges kenne ich aus meiner Kindheit und ich muss schmunzeln, denn die heutigen Werbefilme vor der Tagesschau unterscheiden sich nur unerheblich von den gezeigten Spots.

Das eigentliche Museum des Fagus-Werks ist in den Etagen des Fabrikgebäudes untergebracht und thematisch geordnet. Zunächst geht es mit Filmen, Fotos, Dokumenten und Modellen um die Entwicklung des Unternehmens, um die Einstellung des Unternehmers und des Architekten zu den Fabrikarbeitern, speziell um Walter Gropius und die neue Bauweise der Fabrik. Das Gebäude hat an seinen Ecken keine Stützen, nur Glas, das war mir gar nicht so aufgefallen. Ich erfahre hier auch einiges über die aufwändigen Rekonstruktionsarbeiten.

Ein weiterer Komplex widmet sich dem Holz als Werkstoff, beginnend vom Wald über Massivholz, Holzwerkstoffe bis hin zum Brandschutz. Im nächsten werden die Maschinen und die Technologie der Herstellung von Schuhleisten früher und heute näher betrachtet.

Eine echte Überraschung ist die Etage, in der es nur um Schuhe geht. Ich lerne über Mode, Tragekomfort, wie und durch welche Filme die Sneaker populär geworden sind, Schuhe in der Geschichte und der Gesellschaft. Zu jedem Thema und Jahr sind die entsprechenden Beispiele ausgestellt, dieser Teil des Museums ist unheimlich unterhaltsam.

Der letzte Teil widmet sich dem Leben und arbeiten in einem Denkmal und hier erfahre ich, dass die Fabrik durch einen architekturbegeisterten britischen Offizier schon kurz nach Kriegsende unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Im Keller kann ich das Schuh- und Leistenmodellarchiv bestaunen.

Resümee

Mein heutiger Ausflug in die Moderne hat mit einer echten Überraschung begonnen. Zwei Visionäre, der Unternehmer und der Architekt, haben hier ein außergewöhnliches Objekt geschaffen. Aber nicht nur das ist unbedingt einen Besuch wert, sondern die gesamte Ausstellung, die weit mehr liefert als Bau- und Architektur, nämlich einen geschichtlichen und gesellschaftlichen Abriss der letzten hundert Jahre am Beispiel der Fabrik und darüber hinaus einen unterhaltsamen Ausflug in die Welt der Schuhe.

Für mich schließt sich hier der Kreis zur Olivetti- Firmenstadt Ivrea, wo der fortschrittliche Unternehmer Olivetti u.a. mit dem Architekten Walter Gropius an der Verwirklichung seiner Visionen und sozialen Ideen zusammen gearbeitet hat (go south).

Hier gibt es ein kleines Video.

Ich fahre eine Runde durch den Harz und dann in Richtung Berlin, wo ich einige der Siedlungen der Moderne besuchen werde.

Alle Details zum Ausbau meines Minicampers findet ihr hier: https://5-reisende.de/2022/07/29/55-000-km-on-the-road-vom-nordkapp-bis-sizilien-dobby-insights/ und die weiteren Ziele meiner zweiten Nord-Runde stehen hier: https://5-reisende.de/2022/07/30/welterbe-aufgespuert-und-erfahren-back-from-the-north-2-0/

Hier geht es zu den Geschichte(n)-Orte in Europa Impressionen, Karten und Vorschläge für eure Tour zum Download

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